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Nachricht │ Dienstag, 26. April 2011

Experten im Goldfischglas: Hallenser diskutierten das Für und Wider der Präimplantationsdiagnostik

Experten im Goldfischglas: Hallenser diskutierten das Für und Wider der Präimplantationsdiagnostik

Fishbowl-Diskussion in Halle (Saale) Foto: Markus Scholz / Leopoldina

Soll es in Deutschland gesetzlich erlaubt oder verboten werden, genetische Untersuchungen an durch künstliche Befruchtung erzeugten Embryonen vorzunehmen, um das Risiko für die Geburt eines schwer kranken Kindes abschätzen zu können? Eine Frage, die vor dem Hintergrund der anstehenden Entscheidung im Deutschen Bundestag öffentlich kontrovers debattiert wird. Auch in der Leopoldina in Halle diskutierten Experten und Publikum am Dienstag, den 26. April 2011, das Für und Wider der Präimplantationsdiagnostik (PID).

In der Fishbowl-Diskussion „Auf dem Weg zum Designerbaby? – Das Für und Wider der Präimplantationsdiagnostik“, die die Nationalakademie gemeinsam mit dem Haus der Wissenschaft Braunschweig organisiert hatte, stellten sich vier Experten nicht nur den Fragen des Moderators Carsten Könneker, Chefredakteur der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“, sondern auch zahlreichen Interessierten aus dem Publikum, die sich in die Diskussionsrunde einbrachten. Auch viele Studierende der Medizin und der Rechtswissenschaften der MLU befanden sich unter den rund 120 Zuhörern.

Die Leopoldina hatte sich im Januar dieses Jahres in einer Stellungnahme, die sie den Abgeordneten des Bundestages vorgestellt hat, für eine Zulassung der PID in engen Grenzen und unter bestimmten Voraussetzungen ausgesprochen. Aber es gibt auch viele andere Stimmen in der Gesellschaft, die zeigen, wie schwer eine Entscheidung über die Zulassung der PID den Abgeordneten fallen wird. Auf der einen Seite ist von Selektion die Rede, von der Diskriminierung von Behinderten, auf der anderen Seite von der freien Entscheidung der Eltern, gesunde Kinder zu bekommen, von der möglichen Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen oder Totgeburten sowie von der Bewahrung vor unnötigem Leid.

Die Leopoldina-Diskussionsrunde beleuchtete die Präimplantationsdiagnostik aus verschiedenen Blickwinkeln. So diskutierten die Experten sehr differenziert über die Möglichkeiten der Eingrenzung der PID, über die Gefahren der Selektion, über Forschungsförderung, über eine abnehmende Solidarität in der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderungen und über die Aufgabe des Arztes, seinen Patienten größtmögliche Hilfe zu bieten.

Peter Propping, Leiter der Leopoldina-Arbeitsgruppe „Prädiktive genetischen Diagnostik“, hob hervor, dass es bei der PID nicht darum gehe, den Wert oder Unwert eines Lebens festzustellen, sondern Paaren in Einzelfällen eine Entscheidungsgrundlage zu bieten. Der Humangenetiker war 35 Jahre lang als genetischer Berater tätig. Bedenken hinsichtlich einer ungewollten Ausweitung der PID in Deutschland hat er nicht. In England beispielsweise gelinge es, die PID-Nachfrage seit etwa 20 Jahren auf einem gleichbleibenden Niveau von wenigen hundert pro Jahr zu halten. Angesichts der enormen Fortschritte in der Molekulargenetik sei die Diskussion um die PID insgesamt jedoch eher ein Nebenschauplatz. Er sprach sich für eine intensive Aufklärung der Gesellschaft in diesen Fragen aus.

Gegen eine gesetzliche Zulassung der PID argumentierte Jeanne Nicklas-Faust. Die Professorin für medizinische Grundlagen der Pflege und Vorstandsmitglied der Lebenshilfe-Bundesvereinigung für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. sieht unter anderem die Gefahren, dass die PID sich nicht eingrenzen lässt und dass sie die in sie gesetzten Hoffnung der Paare nicht erfüllt: „Es fängt damit an, dass man eine künstliche Befruchtung beginnen muss, nach der jedoch 70 Prozent der Frauen trotzdem nicht schwanger werden.“ Zudem gebe es bislang keine Untersuchungen zu körperlichen und psycho-sozialen Folgen einer PID für die Kinder und die Eltern. 

Der Theologe und Ethiker Klaus Tanner, Mitglied der Leopoldina, sieht die ethische Schlüsselfrage der Debatte darin, ob der Staat überhaupt das Recht habe, den Eltern eine Präimplantationsdiagnostik zu verbieten? Nur rund 10.000 Kinder kämen in Deutschland jährlich nach künstlicher Befruchtung zur Welt – die PID komme also nur für 1,5 Prozent der Geburten hierzulande in Frage. Im Hinblick auf die „enorme Konflikthaftigkeit“ aller Fragen rund um den Begriff der „Selektion“ erklärte er, dass nicht die Selektion das primäre Ziel der PID sei, sondern der Wunsch eines Paares, ein Kind zu bekommen.

Der HNO- und Krebsmediziner Hans-Peter Zenner stellte die Gewissensentscheidung der Frau in den Vordergrund. Der Leiter der Leopoldina-Arbeitsgruppe zur PID sieht es nicht als Aufgabe des Staates, diese Entscheidung durch ein Gesetz zu verbieten. Es sei ein Merkmal des freiheitlich demokratischen Verfassungsstaates, das Gewissen des einzelnen Menschen zu achten und moralische Überzeugungen zu akzeptieren. Solche Entscheidungen sollten nicht in einem allgemeingültigen Gesetz festgeschrieben werden. „Frauen sollten sich gemäß ihren Lebensumständen für oder gegen die PID entscheiden können“, sagte Zenner.

Auch die Fragen aus dem Publikum betrafen vielfältige Aspekte der PID: Wenn PID in Deutschland verboten bliebe und manche Paare dafür ins Ausland führen – wäre PID dann nur den Reichen vorbehalten? Und sind bei all dem medizinischen Fortschritt nicht auch genetisch bedingte Krankheiten in Zukunft therapierbar? Welche Langzeitwirkungen von PID gibt es? Ähnliche Fragen dürften sich den Abgeordneten bei der Entscheidung über die drei Gesetzesentwürfe im Bundestag stellen.

Das Format der Fishbowl-Diskussion ermöglichte es jedem Teilnehmer der abendlichen Runde, seine Meinung durch einen Platzwechsel einzubringen. In der Mitte der Diskussionsrunde („im Goldfischglas“) diskutierten die Experten. Wenn ein Zuschauer sich gerne an dieser Diskussion beteiligen wollte, konnte er sich auf einen der beiden freien Plätze im Innenbereich setzen, und schon waren er oder sie Teil der Diskussionsrunde – bis ein nächster Zuschauer Anspruch auf einen dieser Plätze erhob. Auch wenn die Zuschauer anfänglich sehr zögerlich auf diese ungewohnte Form der Interaktion reagierten – am Ende des Abends hatten acht Zuschauer aktiv ihre Meinung in die Runde eingebracht. Auch für die Referenten und den Moderator war diese Form der Diskussion Neuland.

Die Fishbowl-Diskussion zum Thema PID fand im Rahmen des Wissenschaftsjahres „Forschung für unsere Gesundheit“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) statt. Sie bildet den Auftakt für eine bundesweite, vom BMBF geförderte Diskussionsreihe mit dem Titel „Gesundheitsforschung kontrovers“, die das Haus der Wissenschaft Braunschweig zu verschiedenen Themen durchführt. Wer über weitere Veranstaltungen an der Leopoldina informiert werden möchte, wende sich bitte an presse@leopoldina.org.

Die weiteren Termine finden Sie unter: www.hausderwissenschaft.org