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Humboldt-Jahr 2019

„Humboldt war sehr datengetrieben“

„Humboldt war sehr datengetrieben“

Die dänische Biogeografin Naia Morueta-Holme. Foto: Lars Svankjær

Zwischen 1799 und 1804 reiste Alexander von Humboldt durch Südamerika. Gemeinsam mit dem Botaniker Aimé Bonpland bestieg er 1802 den Chimborazo, der damals als höchster Berg der Welt galt. Angeregt von dieser Expedition folgte die dänische Biogeografin Naia Morueta-Holme rund 200 Jahre später den Spuren der beiden Leopoldina-Mitglieder – und vollzog deren Messungen und Sammlungen im heutigen Ecuador nach. Über ihre Erkenntnisse spricht die Professorin der Universität Kopenhagen am 12. Februar 2019 auf der öffentlichen Festveranstaltung „Humboldt und die Berge“ der Leopoldina anlässlich des 250. Geburtstages ihres Mitglieds Alexander von Humboldt. Lesen Sie hier ein Interview mit der Forscherin.

Leopoldina: Wie sind Sie mit Humboldts Werk in Berührung gekommen?
Naia Morueta-Holme:
Ich habe an meiner Doktorarbeit in Biogeografie an der Universität Arhus gearbeitet, und 2009 zeigte mein Doktorvater mir eine Sammlung von Humboldts Aufsätzen, einschließlich der „Ideen zu einer Geographie der Pflanzen“. Ich war fasziniert von dem wunderschönen Tableau mit den Vegetationszonen des Bergs Chimborazo in Ecuador, und dann habe ich zusammen mit einem anderen Studenten überlegt: Warum fahren wir nicht einfach hin, vollziehen Humboldts Studien nach und schauen, ob sich die Verteilung der Pflanzen dort verändert hat?

Im Jahr 2012, genau 210 Jahre nach Humboldt, fuhren Sie tatsächlich zum Chimborazo und bestiegen den Berg. War es einfach, die Reise zu wiederholen?
Wir haben versucht, seinen Weg auf der Landkarte nachzuzeichnen. Das ist natürlich nicht leicht aufgrund der alten Beschreibungen. Und damals wurden noch nicht so systematisch Proben genommen wie heute. Humboldt wanderte mit dem Botaniker Aimé Bonpland herum, pflückte hier und da Pflanzen und zeichnete sie auf einer Karte ein. Es war eine gewisse Herausforderung, das mit unseren neuen Daten zu vergleichen. Aber es hat schließlich funktioniert.

Was waren die wichtigsten Ergebnisse ihrer Studie?
Wir konnten zeigen, dass die Vegetationszonen und auch einzelne Pflanzenarten sich sehr dramatisch nach oben verschoben haben, im Durchschnitt über 500 Meter

Ist das auf den Klimawandel zurückzuführen?
Die steigenden Temperaturen sind sicherlich die plausibelste Erklärung. Allerdings ist das Ausmaß dieser Veränderung größer, als man es allein von der Erderwärmung her erwarten sollte, auch die Gletscher sind stärker zurückgegangen. Hier spielt sicherlich auch noch die menschliche Landnutzung in den unteren Höhenlagen eine Rolle.

Naia Morueta-Holme mit Bergführern auf 5.200 Metern Höhe. Foto: Pablo Sandoval-Acuña

War Humboldt mit seiner Sammelleidenschaft ein früher Vorläufer von Big Data?
Bei Big Data geht es ja nicht nur um große Datenmengen, sondern auch um Zusammenhänge zwischen komplexen Daten unterschiedlicher Herkunft. Humboldt war sehr datengetrieben, er zeichnete die Veränderungen der Geologie auf, den Luftdruck, die Luftfeuchtigkeit, die Zusammensetzung der Atmosphäre, die Verteilung von Tieren und Pflanzen, die Lichtintensität, die Schwerkraft und sogar wie blau der Himmel war. Gleichzeitig sah er die Erde als ein komplexes, einheitliches System an. Später wurde für diesen Ansatz der Begriff der „Humboldtschen Wissenschaft“ geprägt.

Kann Humboldt heute noch ein Vorbild für Wissenschaftler sein?
Wahrscheinlich kann heute kein einzelner Wissenschaftler, keine einzelne Wissenschaftlerin mehr einen so breiten Überblick über die Disziplinen haben wie Humboldt. Aber durch die Kollaboration über Fächergrenzen hinweg kann so ein breiter Überblick entstehen, und das ist sehr wichtig für die globalen Herausforderungen, vor denen wir stehen.


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Prof. Dr. Naia Morueta-Holme ist am 12. Februar 2019 Gast bei „Humboldt und die Berge – Die Auswirkungen des Klimawandels auf ein bedrohtes Ökosystem“ an der Nationalakademie Leopoldina in Halle (Saale) gewesen. Die öffentliche Veranstaltung mit Podiumsgespräch hat  Alexander von Humboldt als Mitglied der Akademie anlässlich seiner Geburt vor 250 Jahren gewürdigt.

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