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Nachricht | Samstag, 21. September 2019

Zeit in Natur und Kultur – Jahresversammlung 2019

Zeit in Natur und Kultur – Jahresversammlung 2019

Foto: Markus Scholz für die Leopoldina

Unter der Überschrift „Zeit in Natur und Kultur“ haben sich Mitglieder und geladene Gäste der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina am 20./21. September in Halle eingefunden. Die Tagung belegte eindrucksvoll die Bandbreite, mit der Wissenschaft quer durch die Disziplinen zum Verständnis der Zeit beiträgt.

Ob Physik, Chemie, Biologie, Psychologie, Kulturwissenschaften, Mathematik, Chronomedizin oder Chronobiologie – in 18 Vorträgen wurde offensichtlich, dass das Thema Zeit eine wichtige Rolle in den verschiedensten Wissenschaften spielt. Besonders deutlich zeigte sich das zum Beispiel anhand des Vortrags von Prof. Dr. Felicitas Pauss, Genf/Schweiz, die die Zuhörerschaft auf eine Zeitreise in die Vergangenheit des Universums mitnahm.

Die Experimentalphysikerin am CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) schilderte anhand des ringförmigen Teilchenbeschleunigers Large Hadron Collider (LHC) mit einem Umfang von 27 Kilometern, wie dort Bedingungen hergestellt werden, die dem Zustand des Kosmos zehn bis zwölf Sekunden nach dem Urknall entsprechen. Mit dieser Zeitmaschine lassen sich 13,7 Milliarden Jahre nach dem Urknall und 100 Meter unter der Erde die physikalischen Gesetzmäßigkeiten bei der Entstehung von Materie, Raum und Zeit erforschen.

Den Blick in die Zukunft richtete dagegen die Wissenschaftsforscherin Prof. Dr. Helga Nowotny, Wien/Österreich. Sie warnte, dass enorme Computerkapazitäten sowie durchm Deep Learning  trainierte Algorithmen und damit scheinbar sichere Prognoseverfahren die Zukunft einer Gesellschaft festlegen könnten. Digitale Zeitmaschinen eröffneten zwar neue Möglichkeiten, die Gesellschaft dürfe aber nicht zurückfallen in den Glauben an den Determinismus, den man überwunden glaubte. Der Mensch müsse stattdessen weiterhin überzeugt sein, seine Zukunft selbst mitbestimmen zu können und somit auch lernen, mit gewissen Unsicherheiten zu leben.

An den Zeitdruck erinnerte Leopoldina-Präsident Prof. Dr. Jörg Hacker,mit Blick auf aktuelle Stellungnahmen der Leopoldina. So habe die Akademie in diesem Jahr mit „Klimaziele 2030“ und „Saubere Luft“ zwei zentrale Stellungnahmen samt Handlungsempfehlungen binnen weniger Wochen erarbeitet. Hacker hob zudem die Aktivität der Leopoldina als Mitglied der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zum 70-jährigen Bestehen des Grundgesetzes hervor und wies dabei auf die Aktualität von Wissenschaftsfreiheit und Verantwortung der Wissenschaft hin.

An die Frage nach den Grenzen der wissenschaftlichen Freiheit knüpfte Prof. Dr. Reinhard Merkel, Hamburg, in seinem Festvortrag an. Es brauche ein stabiles System dauernder Kommunikation zwischen Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Medien, in dem Grenzfragen der wissenschaftlichen Freiheit verhandelt werden können, sagte er. Zudem seien auf globaler Ebene völkerrechtliche Verträge notwendig, um die Freiheit und die Grenzen der Wissenschaft immer wieder neu zu bestimmen.

Welche Rolle die Zeit in der Politik spielt, veranschaulichte der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt Dr. Reiner Haseloff. Er erklärte, angesichts der Beschleunigung in einer digitalisierten Welt würden Entscheidungsprozesse immer schwieriger. Dies führe in der Politik zur Gefahr von Fehlentscheidungen. Deshalb sei es wichtig, dass die Wissenschaft auf Plausibilität, Seriosität und Reproduzierbarkeit setze – und dafür brauche es die wissenschaftsbasierte Politikberatung der Leopoldina. Persönliche Töne schlug Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, in seinem Grußwort an. Er erinnerte daran, dass auch eine Präsidentschaft ein Amt auf Zeit sei, und dass nach zweimal fünf Jahren im kommenden Februar die Amtsperiode des Leopoldina-Präsidenten Jörg Hacker auslaufe.

Unter dessen Leitung habe sich die Nationalakademie in hervorragender Weise in Deutschland und weit darüber hinaus als Stimme der Wissenschaft und als Ort für fundierte, erkenntnisgeleitete Politikberatung positioniert. Mit seiner ruhigen, menschlich sehr angenehmen und besonnenen Art habe Hacker es verstanden, inhaltlich profilierte Debatten voranzutreiben und den Zusammenhalt in der Wissenschaft zu stärken.

 Impressionen aus der Veranstaltung