Foto: Markus Scholz für die Leopoldina
Künstliche Intelligenz wird als Werkzeug in Arbeitsprozessen immer wichtiger. Expertinnen und Experten gehen von einer „kybernetischen Revolution” aus: Maschinelles Lernen, bei dem Computer darauf trainiert werden, selbstständig aus Daten und Erfahrungen zu lernen, werden viele Arbeitsprozesse erleichtern. In der Weihnachtsvorlesung am Donnerstag, 7. Dezember 2023, in Halle (Saale) spricht der Physiker, Mathematiker und Informatiker Bernhard Schölkopf über die Entwicklungen und Erfolge des maschinellen Lernens sowie über grundlegende Herausforderungen.
Vor etwa zehn Jahren begann mit dem maschinellen Lernen eine neue Ära der künstlichen Intelligenz (KI). Oft werden die neuronalen Netze, mit denen diese realisiert wird, mit dem menschlichen Gehirn verglichen. Aber ein Kind lernt an drei Beispielen, was eine Katze ist, ein neuronales Netz braucht Millionen Katzen ...
Bernhard Schölkopf: Diese Verfahren sind sehr gut, wenn man über riesige Datenmengen und leistungsfähige Rechner verfügt. Aber während sie bei jedem Problem von vorn anfangen, reichen uns Menschen ein paar Katzen-Beispiele, weil wir vielleicht schon gelernt haben, wie man Hunde erkennt und wie sich das Aussehen eines Hundes unter verschiede- nen Perspektiven und Lichtverhältnissen verändert. Wir haben noch nicht wirklich verstanden, wie wir das für Computer umsetzen können.
Computerverfahren lernen, indem sie statistische Korrelationen entdecken. Aber eine Korrelation zwischen zwei Größen begründet noch keine Kausalität. Sie interessieren sich dafür, wie man Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge in Daten erkennen kann?
Schölkopf: Mit Daten allein ist das unmöglich. Aber es geht, wenn man in ein System intervenieren kann – dann kann ich sozusagen an einer Größe wackeln und schauen, wie sich die andere verändert. Ist das nicht möglich, kann es auch reichen, dass sich Objekte oder Bedingungen von selbst verändern. Mein Team hat das auf das Problem der Entdeckung von Exoplaneten angewandt, und wir haben in den Daten des Kepler-Teleskops tatsächlich eine Reihe solcher Planeten entdeckt.
Seit einem Jahr macht die Software ChatGPT Schlagzeilen. Ist das jetzt die Zukunft der KI?
Schölkopf: Auf der einen Seite ist es absolut faszinierend, wie gut diese Systeme funktionieren. Weil es fast so ist, als würde man mit einem Menschen chatten, schreiben wir den Systemen dann Eigenschaften zu, die sie nicht haben. Es besteht die Gefahr, dass man denkt, damit sei das Problem gelöst und wir verstehen nun, wie Intelligenz funktioniert.
Das Training dieser Systeme kostet Milliarden, und nur noch wenige große Firmen, allesamt in den USA, können sich das leisten. Hat Europa gegen diese Supermächte der KI überhaupt noch eine Chance?
Schölkopf: Ich sehe da drei Möglichkeiten. Erstens: Man fängt selbst bei Null an – aber die dafür erforderliche Rechenleistung hat eine Universität oder selbst ein Max-Planck-Institut nicht. Zweitens: Man versucht, ein existierendes Modell per Feintuning für bestimmte Probleme zu verbessern. Und drittens: Man verwendet einfach nur das Interface zu OpenAI oder Google. Wir sollten aber nicht nur den Amerikanern hinterherhecheln, sondern dafür sorgen, dass zukünftige Innovation auch in Europa geschieht.
Das ist wohl auch ein Gedanke hinter dem Cyber Valley, das Sie in Tübingen mitgegründet haben?
Schölkopf: Früher haben die besten Absolventinnen und Absolventen unserer Hochschulen meist eine wissenschaftliche Karriere angestrebt. Heute wollen viele in eines der Top-Industrielabors gehen. Wenn man als Standort wirklich attraktiv sein will, braucht man einen Mix aus akademischer Forschung, Industrielabors und Start-ups. Das soll das Cyber Valley leisten.
Es gibt zugleich die europäische Ebene – und hier ist im Sommer unter Ihrer Leitung das ELLIS-Institut in Tübingen an den Start gegangen.
Schölkopf: Es gibt ja in Europa auch andere tolle Standorte, etwa um Cambridge herum und an der ETH Zürich. Wir wollen die Standorte sinnvoll vernetzen, etwa indem Doktorandinnen und Doktoranden Betreuer in zwei verschiedenen Ländern haben. Ein solches Ökosystem wäre ein Bonus, den man in Amerika nicht in der gleichen Form bekommen kann. Und unsere Studierenden sind sicher nichtschlechter als die amerikanischen.
Das Gespräch führte Christoph Drösser für den Newsletter 3/2023.