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Interview

„Oh es bewegt sich, also ist es lebendig!“

Interview mit Nobelpreisträger Ben L. Feringa

„Oh es bewegt sich, also ist es lebendig!“

Foto: Universität Groningen

„The Art of Building Small“ („Die Kunst, klein zu bauen“) ist der Titel des Abendvortrags am Mittwoch, 15. Februar 2023 an der Leopoldina in Halle (Saale). Gehalten wird er von dem Chemie-Nobelpreisträger von 2016 Ben L. Feringa, der seit 2019 Mitglied der Leopoldina ist. Feringa wird über die Forschung im Bereich der molekularen Nanotechnologie sprechen, deren Grundzüge er im Interview vorab verdeutlicht.

Was bedeutet die Mitgliedschaft in der Leopoldina für Sie?
Feringa: Ich schätze Gemeinschaften der besten Wissenschaftler – wie sie die Leopoldina ist – sehr. Ich denke, es ist wichtiger denn je, dass die Akademien ihre Stimme gegenüber Politik und Gesellschaft erheben, um Tatsachen von Fiktion zu unterscheiden und die Qualität des Denkens zu fördern. Als Mitglied in diese angesehene Akademie aufgenommen zu werden, bedeutet mir also viel.

In Ihrer Forschung an molekularen Maschinen lassen Sie sich von der Natur inspirieren. Welche Art von Maschinen bauen Organismen?
Die Tatsache, dass ich mit Ihnen spreche, dass Sie Ihre Arme und Beine bewegen oder dass Stoffe durch Ihren Körper transportiert werden können – all dies ist Milliarden von winzigen Motoren und Maschinen zu verdanken. Der wichtigste Kraftstoff in Ihrem Körper, Adenosintriphosphat ATP, wird durch einen Rotationsmotor hergestellt, und zwar täglich bis zu 40 Kilogramm. Bei der Frage, ob etwas lebendig oder tot ist, wird ein Kind sofort sagen: „Oh, es bewegt sich, also ist es lebendig!“

Mechanik ist eigentlich ein Fachgebiet der Physik. Wieso ist auf molekularer Ebene die Chemie so wichtig?
In seinem Vortrag „There‘s Plenty of Room at the Bottom“ („Nach unten gibt es noch viel Platz“) legte der Physiker Richard Feynman vor 60 Jahren die ersten Ideen einer Technologie auf molekularer Ebene dar. Seitdem wurde der Maßstab der Makrotechnologie zunehmend verkleinert und wir haben immer kleinere Geräte gebaut – denken Sie an Ihren Laptop oder Ihr Smartphone. Mutter Natur hingegen fängt im Nanobereich an und geht in immer größere Dimensionen. Und genau das ist es, was auch Chemiker und Materialwissenschaftler tun.

Versuchen Sie, die Bauweise der Natur nachzuahmen?

Sobald alle Voraussetzungen für Leben erfüllt waren, stand der Natur ein sehr begrenztes Repertoire an Materialien zur Verfügung. Die meisten unserer wichtigsten Körperteile bestehen aus lediglich 20 Aminosäuren. Diese Beschränkung gilt für uns nicht – wir können beinahe unendlich viele Materialien herstellen.

Die Voraussetzungen auf molekularer Ebene unterscheiden sich deutlich von denen auf der Makroebene.
Das stimmt. Ein Beispiel ist das Phänomen der Brownschen Bewegung – Moleküle bewegen sich völlig durcheinander. Manche vergleichen dies mit einem permanenten Wirbelsturm.

Was sind die größten Hürden in Ihrer Arbeit?
Chemie ist richtig gut bei der Entwicklung von Materialien für unsere moderne Gesellschaft. Wenn sich jedoch etwas bewegt, tun wir uns schwer. Denken Sie an einen künstlichen Muskel oder ein Stück Plastik, das seine Form ändern oder sich selbst reparieren kann. Das ist aber genau das, was in Ihrem Körper geschieht – ein Kratzer am Finger heilt von selbst. Jetzt sind wir zum ersten Mal in der Lage, Dinge herzustellen, die sich selbst bewegen. Wir haben den ersten Motor weltweit gebaut, der kleiner als ein Nanometer ist.

Sie haben auch ein winziges Nano-Auto gebaut.
Ja, und die wissenschaftliche Herausforderung bestand natürlich nicht darin, ein richtiges Auto zu bauen, sondern die Rotationsbewegung in Translationsbewegung umzuwandeln.

Es kursieren viele Geschichten über Nanobots. Wird diese Technologie kommen?
Bis jetzt ist das immer noch Science-Fiction. Ich gehe aber davon aus, dass Ärzte in 50 Jahren diese Nanobots in den Blutkreislauf injizieren werden, um nach Tumorzellen zu suchen oder ein Medikament zu verabreichen. Die ersten Anwendungen, in denen diese Technologie eingesetzt wird, werden – so denke ich – selbstreinigende Fenster oder Materialien sein, die sich selbst reparieren. Es gibt schon eine Art Plastik, das einen Schnitt innerhalb von zehn Minuten selbst reparieren kann. Die Nanorobotertechnologie liegt jedoch etwas ferner in der Zukunft. Die Möglichkeiten sind großartig – wenn wir es richtig angehen.

In welchen Bereichen könnte diese Technologie eingesetzt werden?

Wir untersuchen derzeit vor allem, wie sich Oberflächeneigenschaften beeinflussen lassen, zum Beispiel beim Wachstum von Stammzellen. Im letzten Jahr haben wir über unsere Forschung am molekularen Muskel publiziert: Wir haben Millionen von molekularen Motoren in Wasser angeordnet. Sobald wir sie beleuchtet haben, wurden sie durch diese Energie in Bewegung gesetzt und konnten ein Blatt Papier greifen.

Werden Sie sich an Arbeitsgruppen der Leopoldina beteiligen können?
Mein Nobelpreis hat viele neue Aufgaben und Einladungen mit sich gebracht. Es ist also eher eine Frage der Zeit. Ich habe viele Verbindungen zu deutschen Universitäten und zu den Max-Planck-Instituten, und es wäre mir eine große Freude, mich einbringen zu können.

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