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Interview mit Prof. Dr. Tobias Erb ML

„Ohne Kohlenstoff geht es nicht“

Kann „Kohlendioxid als Rohstoffquelle der Zukunft“ genutzt werden? Dieser Frage geht Leopoldina-Mitglied Prof. Dr. Tobias Erb am Mittwoch, 17. April, in einer öffentlichen Vorlesung nach. Darin spricht der Direktor am Max-Planck-Institut für Mikrobiologie (Marburg) über die Vision, Kohlenstoff direkt aus CO2 und nicht aus Erdöl zu gewinnen. Im Interview vorab skizziert er seine Überlegung, dass es somit nicht um die Dekarbonisierung von Ökonomie und Gesellschaft, sondern vielmehr um deren Defossilierung gehen müsse.

Sie sind im vorigen Jahr in die Leopoldina aufgenommen worden. Was erhoffen Sie sich von der Mitgliedschaft?
Die Aufgabe der Leopoldina ist, Wissenschaft zu fördern und deren Stimme zu gesellschaftlich, ökologisch und wirtschaftlich relevanten Themen einzubringen. Dies gilt auch für meine Forschung. Genauso wichtig finde ich es, die Bedeutung der Grundlagenforschung für Innovation zu betonen. Forschung muss frei sein und die Chance haben, wissens- und neugiergetrieben zu sein. Da finde ich viele Berührungspunkte und Möglichkeiten, mich zu engagieren. Ich habe zum Beispiel als Nicht-Leopoldina-Mitglied bereits in der Arbeitsgruppe „Lebenswissenschaften“ mitgearbeitet, dort will ich mich gern weiter engagieren.

Sie widmen sich in Ihrer Forschung und nun auch in Ihrem Vortrag dem Kohlendioxid. Warum ist das Treibhausgas aus Ihrer Sicht eine Rohstoffquelle der Zukunft?
Das Leben der Menschheit, sei es die Ernährung oder die sie umgebende Materialien, basiert auf Kohlenstoff. Ohne Kohlenstoff geht es nicht. Wir werden uns folglich als Gesellschaft nicht dekarbonisieren können, aber wir werden uns defossilieren müssen. Das ist ein wichtiger Unterschied. Die große Vision ist es, den Kohlenstoff direkt aus CO2 zu gewinnen und nicht aus Erdöl, um so eine CO2-basierte nachhaltige Ökonomie aufzubauen. Die synthetische Biologie kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Was kann sie bieten?
Die Natur kann schon jetzt im Großmaßstab CO2 über Photosynthese einfangen. Sie macht das aber – aus menschlicher Sicht – sehr ineffizient und über ein kompliziertes Produkt, nämlich die Biomasse. Der Ansatz unserer Arbeitsgruppe war, diesen Prozess der CO2-Umwandlung radikal neu zu denken und effizienter zu gestalten. Die synthetische Biologie eröffnet dabei neue Möglichkeiten, die die Evolution bislang nicht probiert hat.

Ein Beispiel dafür ist die künstliche Photosynthese, für deren Entwicklung Sie unter anderem Anfang des Jahres den Leibniz-Preis erhalten haben. Wie funktioniert sie?
Am Anfang stand die grundlegende Frage, ob man einen uralten Prozess wie die Photosynthese überhaupt neu erfinden kann. Wir haben zuerst in rein theoretischen Arbeiten verschiedene Alternativen dazu entworfen, die wir dann im Reagenzglas realisiert haben und aktuell in Zellen einbringen. Wenn man so möchte, haben wir ein neues Betriebssystem für die Photosynthese entwickelt. Hier ist die spannende Frage, ob natürliche Zellen nach Milliarden Jahren Evolution solche neue Programme überhaupt ablaufen lassen können – oder ob künstliche Zellen vielleicht dazu besser geeignet sind.

Sie überrumpeln damit die Evolution ...
Wir denken immer, die Evolution ist sehr kreativ. Tatsächlich ist sie aber limitiert, denn in den meisten Fällen bleibt sie bei dem, was sie mal erfunden hat, und versucht es lediglich zu optimieren. Evolution gelingt so selten Innovation. In der synthetischen Biologie haben wir es dagegen sehr einfach: Ich kann einen Prozess wie die Photosynthese komplett neu aufsetzen. Dieser Aspekt, etwas Neues zu entwickeln, was die Natur nicht erfunden hat, und dies anschließend in einen lebenden Organismus wie etwa eine Zelle zu testen, ist das Prinzip unserer Forschung.

Würden Sie ethische Grenzen der synthetischen Biologie ziehen?
Der Mensch greift schon seit Jahrtausenden in die Natur ein und verändert sie stark. Bei der synthetischen Biologie geht es vor allem um die Tiefe und Folgen solcher Eingriffe, aber auch um die konkrete Anwendung. Wichtig wäre mir bei solchen Diskussionen, die Chancen und Risiken der synthetischen Biologie herauszuarbeiten und diese zu diskutieren. Die Leopoldina ist dafür ein sehr guter Ort.