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In Einfacher Sprache: Medizinische Hilfe bei der Fortpflanzung – Die Situation in Deutschland

In Einfacher Sprache: Medizinische Hilfe bei der Fortpflanzung – Die Situation in Deutschland

Grafik: Sisters of Design

Am 4. Juni 2019 haben die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften eine Stellungnahme zum Thema Fortpflanzungsmedizin veröffentlicht. Einige Informationen darüber, was Fortpflanzungsmedizin ist und was die Akademien fordern, gibt es hier in Einfacher Sprache.

Warum brauchen Menschen medizinische Hilfe bei der Fortpflanzung?

Viele Menschen möchten eine Familie gründen und Kinder bekommen. Bei manchen Menschen ist dies auf natürlichem Weg nicht möglich. In diesen Fällen kann die Fortpflanzungsmedizin oft helfen.

Wann gehen Menschen zu einem Arzt/einer Ärztin? Oft, wenn ein Paar längere Zeit ohne Erfolg versucht hat, auf natürlichem Weg ein Kind zu bekommen. Zunächst werden dann der Mann und die Frau untersucht. Je nachdem, wo das Problem liegt, können verschiedene Verfahren der Fortpflanzungsmedizin angewendet werden.

Was ist Fortpflanzungsmedizin?

Fortpflanzungsmedizin nennt man medizinische Maßnahmen, mit denen eine Frau schwanger werden kann. Dabei gibt es verschiedene Verfahren. Ein Verfahren ähnelt stark der natürlichen Fortpflanzung. Dazu führt ein Arzt/eine Ärztin männlichen Samen in die Gebärmutter der Frau ein. Dies nennt man Insemination.

Bei einem anderen Verfahren nimmt der Arzt/ die Ärztin Eizellen von der Frau und Samen vom Mann und bringt diese außerhalb des Körpers zusammen. Weil dafür verschiedene Glas-Behälter benutzt werden, nennt man dieses Verfahren In-Vitro-Fertilisation, lateinisch für „Befruchtung im Glas“. In-Vitro-Fertilisation wird meist abgekürzt als IVF.

Wie funktioniert eine Befruchtung außerhalb des Körpers?

Um eine IVF durchführen zu können, braucht die Ärztin/der Arzt Eizellen und Samen. Zunächst bekommt die Frau Medikamente (Hormone) gespritzt, so dass möglichst viele Eizellen in ihrem Körper reifen. Eine Ärztin/ein Arzt entnimmt die Eizellen dann mit einem speziellen Instrument.

Diesen Vorgang nennt man Punktion. Auch der Mann gibt seinen Samen ab. Dann gibt man den Samen und die Eizellen zusammen in eine Schale. Jeweils ein Samen dringt in eine Eizelle ein. Nach einigen Stunden verschmelzen die beiden und ein Embryo entsteht.

Ein spezielles Verfahren: Die so genannte ICSI-Behandlung:
In manchen Fällen sind die Samenzellen des Mannes zu wenig aktiv. Dann finden sie nicht ohne Hilfe den Weg in die Eizelle. Oder der Mann hat zu wenige Samenzellen. In diesen Fällen wendet der Arzt/die Ärztin eine spezielle Methode an: ICSI. Die Buchstaben stehen für die Intracytoplasmatische Spermieninjektion. Das bedeutet: Der Arzt/die Ärztin spritzt eine Samenzelle mit einer sehr feinen Nadel direkt in eine Eizelle.  

Wie geht es nach der Befruchtung weiter?

In einer speziellen Flüssigkeit, einem sogenannten Nährmedium, entwickeln sich die Embryonen weiter. Die Ärztin/der Arzt beobachtet die Embryonen: Welche entwickeln sich gut, welche nicht? Die Ärztin/der Arzt darf der Frau bis zu drei Embryonen übertragen. Wie viele Embryonen übertragen werden sollen, entscheiden die Frau und der Arzt/die Ärztin zusammen.  Wenn alles gut geht, verbinden sich der Embryo oder die Embryonen mit der Gebärmutter. Fachleuchte nennen das Nidation. Damit beginnt eine Schwangerschaft.

Wenn der Frau mehr als ein Embryo übertragen wird, kann das gefährlich sein. Es kann dann nämlich zu einer Schwangerschaft mit Zwillingen oder Drillingen kommen. Diese Kinder kommen oft zu früh zur Welt. In vielen Fällen haben sie sich dann noch nicht so weit entwickelt, wie bei einer normalen Schwangerschaft.  

Etwa 3 von 10 Frauen, die eine IVF-Behandlung bekommen, werden im ersten Versuch schwanger. Einige von ihnen haben eine Fehlgeburt. Etwa 2 von ihnen bringen am Ende ein lebendes Kind auf die Welt.

Was macht man mit Embryonen, die der Frau nicht übertragen werden?

Manchmal bleiben am Ende einer Behandlung Embryonen übrig. Diese können dann tiefgefroren werden. Dieses Verfahren nennt man Kryokonservierung. Die Embryonen lagern in flüssigem Stickstoff bei etwa minus 200 Grad. Auf diese Weise können sie viele Jahre gelagert werden.

Man kann diese Embryonen auftauen, wenn die Frau eine Fehlgeburt hat, und es noch einmal versuchen möchte. So kann ihr dann noch einmal ein Embryo übertragen werden. Auch wenn sich das Paar ein weiteres Kind wünscht, können die Embryonen hierfür verwendet werden. Die eingefrorenen Embryonen dürfen auch an andere Paare weitergegeben werden, die keine Kinder bekommen können. Dies nennt man Embryospende oder auch Embryoadoption. Hierfür fehlen aber im Moment noch Regeln.

Warum sollten die Gesetze geändert werden?

Was Ärztinnen und Ärzte in der Fortpflanzungsmedizin in Deutschland dürfen, regelt das Embryonenschutzgesetz. Das Gesetz wurde 1990 beschlossen – und seitdem fast nicht geändert. Es ist aber in der Zeit seit 1990 viel passiert: Neue Behandlungen wurden entwickelt, neues Wissen wurde gesammelt. Auch die Gesellschaft hat sich in den letzten 30 Jahren verändert.

In anderen Ländern Europas wurden die Gesetze den Veränderungen angepasst. Viele der in Deutschland noch immer verbotenen Behandlungsmethoden sind inzwischen in anderen Ländern erlaubt:

Zum Beispiel: Die Eizellspende
Frauen ohne eigene Eizellen brauchen Eizellen von anderen Frauen, um schwanger zu werden. In vielen Ländern in Europa können sie Eizellen bekommen, die von anderen Frauen gespendet wurden. In Deutschland ist eine solche Eizellspende verboten. Früher machte man sich Sorgen um das Kind, wenn es „zwei Mütter“ hätte: Eine biologische Mutter, von der die Eizelle stammt und eine Mutter, die mit dem Kind schwanger war. Man hatte Angst, dass das Kind darunter leiden würde.

Heute weiß man, dass dies für die Kinder kein Problem ist, wenn man es ihnen früh erklärt. Das haben Untersuchungen im Ausland gezeigt. Hinzu kommt: Ein Mann, der keinen Samen hat, darf eine Samenspende benutzen. Eine Frau, die keine Eizellen hat, darf aber keine Eizellspende bekommen. Dies ist nicht gerecht.

Daher empfehlen die Akademien, die Eizellspende in Deutschland zu erlauben.

Zum Beispiel: Die Herstellung mehrerer Embryonen, um den besten auszuwählen
Nicht alle Embryonen entwickeln sich gut. Manche sterben zum Beispiel nach kurzer Zeit ab. Das gehört zur normalen biologischen Entwicklung.

Darum erzeugt man in vielen Ländern bei einer fortpflanzungsmedizinischen Behandlung bewusst viele Embryonen. Auch wenn man schon vorher weiß, dass nicht alle verwendet werden können. Aus diesen Embryonen wählt man dann nach einigen Tagen den Embryo aus, der sich am besten entwickelt. Nur diesen überträgt man auf die Frau. Das nennt man auf Englisch „elective Single Embryo Transfer“, kurz eSET.

Das ist in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Bei uns darf man nicht bewusst mehr Embryonen erzeugen, als man der Frau übertragen will. Das Gesetz erlaubt maximal drei Embryonen zu übertragen. Der Arzt/die Ärztin darf also nicht zum Beispiel 12 Embryonen erzeugen, um den besten auszuwählen. Um eine möglichst große Chance zu haben, trotzdem schwanger zu werden, lassen sich Frauen in Deutschland oft zwei, manchmal sogar drei Embryonen übertragen. Sie hoffen, dass dann zumindest ein Embryo zu einem Kind heranwächst.

Dabei gibt es aber das Risiko, dass sich doch mehrere Embryonen zu Kindern entwickeln. Dann kann die Frau Zwillinge oder sogar Drillinge bekommen. Oft werden diese zu früh geboren und können dadurch Schädigungen bekommen. Besser wäre es also, es so zu machen, wie in anderen Ländern in Europa: Aus einer größeren Zahl nur den Embryo auszuwählen, der sich am besten entwickelt.

Dann könnte es aber mehr Embryonen geben, die am Ende einer Behandlung übrigbleiben. Solche Embryonen nennt man „überzählige Embryonen“. Zwar kann man diese Embryonen einfrieren und später verwenden. Wenn die Frau sie aber auch nach einigen Jahren nicht haben will, lässt man sie absterben. Das lehnen einige Menschen ab. Sie denken, dass ein Embryo genauso geschützt werden sollte wie ein Mensch, der bereits geboren ist.

Wie sehr soll man Embryonen schützen?

Manche sagen, dass man Embryonen in jedem Fall schützen muss. Embryonen sind ihrer Meinung nach wie geborene Menschen zu schützen. Sie wollen eine Zerstörung von Embryonen nicht akzeptieren. Andere denken, dass ein Embryo noch kein Mensch ist. Zum Beispiel, weil ein Embryo sich ohne die Mutter nicht zu einem Menschen entwickeln kann. Denn ein Embryo sei zunächst nur eine befruchtete Eizelle. Und es ist ganz natürlich, dass in den ersten Tagen noch viele von ihnen sterben. Je mehr ein Embryo sich dann zu einem Menschen entwickelt hat, desto mehr sollte er geschützt werden.

Zudem muss man auch die Risiken für die Mütter und die entstehenden Kinder bedenken. Viele finden es genauso wichtig oder sogar wichtiger, das Risiko einer Schwangerschaft mit mehreren Kindern zu vermeiden, als alle Embryonen zu erhalten.
Auch die Akademien schließen sich dieser Meinung an.

Was sollte nun passieren?

Politikerinnen und Politiker, Bürgerinnen und Bürger sollten über die Fortpflanzungsmedizin diskutieren. Wir brauchen ein moderneres Gesetz. Die Akademien machen dafür einige Vorschläge:

  • Ärztinnen und Ärzte sollten Paare so gut wie möglich behandeln können. So wie es in vielen Ländern Europas möglich ist.
  • Menschen, die die Hilfe der Fortpflanzungsmedizin suchen, sollten leichter als bisher über die möglichen Behandlungen beraten werden können. Diese Beratung sollte von den Krankenkassen bezahlt werden.
  • Heute müssen Paare einen großen Teil der Behandlung selbst bezahlen. Das können sich viele nicht leisten. In Zukunft sollte eine Behandlung nicht am Geld scheitern. Es sollte das bezahlt werden, was medizinisch sinnvoll ist.
  • Forscher sollten in Deutschland stärker untersuchen, wie sich die geborenen Kinder entwickeln.


Bei allen Änderungen des Gesetzes sollte immer das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen.

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Dr. Henning Steinicke

Referent, Stellvertretender Leiter der Abteilung Wissenschaft – Politik – Gesellschaft

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