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Pflanzenzucht mit der Genschere: Einleitung

Pflanzenzucht mit der Genschere: Einleitung

Foto: Adobe Stock / Oleksandr

Gentechnische Verfahren haben die Möglichkeiten der Pflanzenzucht erheblich erweitert. Zugleich ist die Grüne Gentechnik in Europa gesetzlich streng reguliert und hat hier bislang keinen großen Stellenwert erlangt. Mit der Entwicklung neuer molekulargenetischer Werkzeuge, bekannt als „Genschere“, stellt sich die Frage nach Potenzial, Sicherheit und gesetzlicher Regulierung erneut. Denn damit lassen sich Nutzpflanzen zielgerichteter, kosten- und zeitsparender verändern als mit den bisher genutzten Züchtungsverfahren.

Der Begriff „Grüne Gentechnik“ beschreibt die Nutzung gentechnischer Verfahren in der Pflanzenzucht, vor allem für die Landwirtschaft. Die Technologie machte es erstmals möglich, Gensequenzen gezielt von einer Art auf eine andere Art zu übertragen und damit sogenannte transgene Organismen zu erzeugen. Mittlerweile steht bei der Grünen Gentechnik eher im Fokus, gezielt einzelne Gene abzuschalten oder abzuwandeln. Solch präzise Eingriffe sind erst seit einigen Jahren durch neue Verfahren möglich, zu denen vor allem die Genomeditierungsmethoden gehören. Damit lassen sich bestimmte Stellen im Erbgut genau anpeilen und umschreiben (editieren).

Das bekannteste Beispiel für ein Werkzeug zur Genomeditierung ist die Genschere CRISPR/Cas. Sie wird häufig im Zusammenhang mit medizinischen Anwendungen thematisiert. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Fortschritte nähren die Hoffnung, damit neue Krebstherapien entwickeln oder Erbkrankheiten behandeln zu können. Verfahren der Genomeditierung sind jedoch nicht nur bei Menschen anwendbar, sondern auch bei Tieren, Mikroorganismen und Pflanzen.

Der Einsatz der Genschere bringt somit auch die Pflanzenzüchtung voran. Verglichen mit konventionellen Züchtungstechniken, bei denen ebenfalls die Eigenschaften von Pflanzen verbessert oder erweitert werden sollen, ist die Methode präziser und führt schneller zum Ziel. Zugleich birgt sie nicht die Nachteile der gentechnischen Verfahren der ersten Generation, bei denen häufig nicht steuerbar ist, an welcher Stelle im Erbgut sich ein neues Gen oder Genelement einfügt.

Vor allem in Europa ist die Gentechnik der ersten Generation von Verbraucherinnen und Verbrauchern von Beginn an überwiegend kritisch aufgenommen worden und hat sich kaum durchgesetzt. Aus Sicht vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hat die Genomeditierung das Potenzial für eine Art Neustart der Grünen Gentechnik. Sie ermöglicht es, auf relativ einfache und schnelle Weise die Eigenschaften von Nutzpflanzen zu verändern. Derartige Züchtungen könnten dazu beitragen, Landwirtschaft produktiver, pestizidärmer und ressourcenschonender zu betreiben sowie die Ernährung zu sichern und zu verbessern.

Ein wichtiger Aspekt: Genomeditierte Pflanzen lassen sich – anders als die meisten Produkte der klassischen Gentechnik – in der Regel nicht von solchen Pflanzen unterscheiden, die auch durch natürliche genetische Veränderungen (Mutationen) oder herkömmliche Züchtung entstehen können.

Prof. Dr. Matin Qaim zur Grünen Gentechnik

Agrarökonom

„Wir brauchen neue Technologien. Es geht darum, Pflanzen schnell an veränderte Bedingungen anzupassen.“

In vielen Ländern stocken Forschung und Entwicklung in diesem Bereich, weil die gesetzliche Regulierung restriktiv oder noch nicht abschließend geklärt ist. In der Europäischen Union (EU) beispielsweise werden genomeditierte Pflanzen seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Juli 2018 generell als genetisch veränderte Organismen (GVO) eingestuft und unterliegen damit den entsprechenden rechtlichen Regelungen der EU-Freisetzungsrichtlinie aus dem Jahr 2001. Das macht ihre Entwicklung und Zulassung zeitaufwendig und teuer.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler plädieren daher für einen differenzierteren Blick auf genomeditierte Pflanzen. In einer gemeinsamen Stellungnahme von 2019 betonen die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, dass der aktuelle verfahrensbezogene Regulierungsansatz der EU wissenschaftlich nicht mehr begründbar sei. Eine wissenschaftsbasierte Risikobewertung solle stattdessen in Abhängigkeit von der Neuartigkeit des Produkts beziehungsweise dessen veränderten Merkmalen erfolgen. Die drei Wissenschaftsinstitutionen sprechen sich für eine Überarbeitung des europäischen Gentechnikrechts aus.

Nachdem eine im Frühjahr 2021 veröffentlichte Studie der Europäischen Kommission zu dem Schluss kam, dass das derzeit geltende Gentechnikrecht für genomeditierte Pflanzen nicht mehr zweckmäßig ist, hat eine solche Reform begonnen. Die EU-Kommission hat einen breit angelegten und offenen Konsultationsprozess eingeleitet, um die Gestaltung eines neuen Rechtsrahmens für die neuen Züchtungsverfahren zu erörtern und eine offene Debatte zu führen.