Seit Jahrtausenden sind Menschen bestrebt, Nutzpflanzen so zu selektieren, dass sie mehr Ertrag bringen, Schädlingen widerstehen, größere Früchte ausbilden oder besser schmecken. Moderne molekulargenetische Verfahren beschleunigen diese Züchtungsprozesse und erweitern das Spektrum. Sie können zu einer klima- und umweltfreundlicheren Landwirtschaft beitragen sowie die menschliche Ernährung sichern und verbessern.
Das 21. Jahrhundert stellt die Menschheit vor große Herausforderungen. Die globale Erwärmung schreitet fort und verändert vielerorts die Bedingungen für den Pflanzenbau. Landwirtinnen und Landwirte müssen häufiger mit Hitze, Dürre, Überschwemmungen oder Schädlingsplagen rechnen. Zugleich wächst die Weltbevölkerung und mit ihr der Bedarf für Nahrungsmittel. Die Vereinten Nationen (UN) rechnen bis 2050 mit einem Anstieg auf 9,7 Milliarden Menschen, derzeit sind es fast 7,9 Milliarden.
Die Weltgemeinschaft hat sich mit der „Agenda 2030“ der UN Ziele für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung gesetzt. Das bedeutet, dass sich auch die Landwirtschaft wandeln muss. Denn so, wie sie derzeit in vielen Ländern betrieben wird, schadet sie der Natur und den Ökosystemen. Sie trägt zum Verlust der Biodiversität bei, ist auf reichlich Wasser, Dünger und Pflanzenschutzmittel angewiesen und hinterlässt ausgezehrte Böden.
„Die Genomeditierungsverfahren haben ein großes Potenzial, einen Beitrag zur Hungerbekämpfung zu leisten.“
„Die Nahrungsmittelproduktion soll nachhaltiger werden“, heißt es in den Erläuterungen zu den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN. Methoden der Grünen Gentechnik werden in diesem Zusammenhang nicht explizit genannt. Mit Blick auf die neuen Verfahren ist aus wissenschaftlicher Sicht aber klar, dass sich die Genomeditierung bei Pflanzen als eines von mehreren Werkzeugen nutzen lässt, um drängende globale Herausforderungen anzugehen. Sie eröffnet etwa einen vergleichsweise schnellen und einfachen Weg, Nutzpflanzen besser den neuen Bedingungen anzupassen, die durch die Klimaerwärmung entstehen.
Zur Verbesserung der Stressresilienz von Pflanzen mithilfe von Genomeditierung wird weltweit geforscht. Das zeigt ein Ende April 2021 veröffentlichter Bericht der Gemeinsamen Forschungsstelle (Joint Research Centre/JRC) der Kommission der Europäischen Union (EU) über aktuelle und zukünftige Marktanwendungen neuer genomischer Verfahren. Der Report gibt eine Übersicht über bereits zugelassene genomeditierte Produkte sowie Projekte im frühen Stadium der Forschung und Entwicklung.
Von den insgesamt 426 Anwendungen bei Pflanzen zielen dem JRC-Bericht zufolge 120 darauf ab, Nutzpflanzen so zu verändern, dass sie weniger anfällig für Krankheiten durch Pilze, Viren und andere Erreger sind. Das ist vor allem mit Blick auf den Klimawandel von Interesse, denn durch die damit einhergehende Häufung extremer Wetterlagen geraten Pflanzen stärker unter Stress und werden anfälliger für Krankheiten. Darüber hinaus benötigen Nutzpflanzen, die per se weniger krankheitsanfällig sind, keine oder weniger Pestizide und tragen damit zu einer umweltschonenden Landwirtschaft bei. Nicht zuletzt stabilisieren oder erhöhen derartige Züchtungen die Erträge – was hinsichtlich der wachsenden Weltbevölkerung von Bedeutung ist.
„Die Genomeditierungsverfahren sind eine wichtige Weiterentwicklung, aber keine völlig neue Ära.“
Foto: Universität Hohenheim / Jan Winkler
Es gibt bereits einige Beispiele für Pflanzen, die mithilfe der Genschere CRISPR/Cas resistent gegen krankmachende Viren, Bakterien oder Pilze gemacht wurden. Dazu zählen Tomaten, die unempfindlich gegen den Mehltau-Pilz sind, Gurken, die dem Vergilbungsvirus CABYV widerstehen und Kartoffeln, denen Kartoffelfäule nichts anhaben kann. Darüber hinaus existieren ähnliche Projekte mit Kakao, Raps, Mais, Banane, Wein und Weizen.
„Züchterische Anpassungen an Trockenstress und an Bodenversalzung sichern die Erträge auch unter den Bedingungen des Klimawandels.“
„Interessant ist auch die Idee, Pflanzen mit tiefen Wurzeln zu entwickeln. Das verbessert die Wasser- und Nährstoffversorgung. Außerdem bindet erhöhte Wurzelmasse zusätzlich CO2.“
In 40 der 426 vom JRC erfassten Projekte befassen sich Forschende damit, Pflanzen besser gegen sogenannte abiotische Stressoren zu wappnen. Damit sind vor allem Umweltfaktoren gemeint, die den Feldanbau erschweren: Dürre, Hitze, Überschwemmungen, ultraviolette Strahlung oder eine zu hohe Salzkonzentration im Boden. Es ist zu erwarten, dass diese Faktoren im Zuge der globalen Erwärmung eine immer größere Rolle spielen und die Landwirtschaft vielerorts vor neue Probleme stellen werden. Vor diesem Hintergrund kann die Grüne Gentechnik einen wichtigen Beitrag für die Landwirtschaft der Zukunft leisten.
Erklärtes Ziel des European Green Deal ist es, Europa bis 2050 zu einem klimaneutralen Kontinent zu machen. Dazu sollen im ersten Schritt bis 2030 die Netto-Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber den Werten von 1990 sinken. Ein wichtiger Teil des Vorhabens betrifft den Landwirtschafts- und Ernährungssektor, der im Rahmen der Strategie „Farm to Fork“ („Vom Hof auf den Tisch“) klima- und umweltverträglicher werden soll. Dabei geht es auch darum, den Agrarbereich für die absehbaren Folgen der globalen Erwärmung zu rüsten.
„Die Verfahren der Genomeditierung bieten die Aussicht, mit weniger chemischen Pflanzenschutzmitteln auszukommen – und das sogar recht schnell.“
Dem Agrarsektor ist ein erheblicher Teil des globalen Treibhausgas-Ausstoßes zuzurechnen. In Deutschland trug die Landwirtschaft 2020 nach Angaben des Umweltbundesamts 8,2 Prozent zu den gesamten Treibhausgas-Emissionen des Landes bei – und damit etwas mehr als die Industrie (7,9 Prozent). In diese Berechnung sind Treibhausgasemissionen durch Landnutzungswandel, etwa durch Trockenlegen von Mooren oder Abholzen von Waldflächen für die landwirtschaftliche Nutzung, noch nicht mit einbezogen. Methan, das bei Verdauungsprozessen in der Tierhaltung freigesetzt wird, oder Lachgas, das beim Düngen freigesetzt wird, sind typische Beispiele für agrarwirtschaftsbedingte Treibhausgase. Im Rest Europas ist der Anteil der Landwirtschaft an den Treibhausgas-Emissionen ähnlich hoch wie in Deutschland, so dass der EU-Schnitt bei 8,7 Prozent liegt. Weltweit tragen Land- und Forstwirtschaft inklusive Landnutzungswandel sowie der gesamte Ernährungssektor etwa 30 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase bei.
Die Verflechtung von Landwirtschaft und Klimawandel unterstreicht den Bedarf für eine Neuausrichtung des Agrar- und Ernährungssystems. Die neuartigen Verfahren der Grünen Gentechnik könnten sich dabei als ein nützliches Werkzeug erweisen, das den Anbau von Nutzpflanzen umwelt- und klimaverträglicher macht. Zu diesem Schluss kommt auch die im April 2021 veröffentlichte Studie der Europäischen Kommission über neue genomische Verfahren. Sie betont das Potenzial genomeditierter Pflanzen, zu einem widerstandsfähigeren und nachhaltigeren Agrar-und Lebensmittelsystem beizutragen.
Abbildung 1: Zahl der Projekte in Forschung- und Entwicklung (F&E) weltweit, bei denen Pflanzen per Genomeditierung modifizierte oder neue Merkmale erhalten, aufgeschlüsselt nach Pflanzenarten. Die Übersicht über die insgesamt 426 Projekte wurde für einen Bericht des Joint Research Centre der Europäischen Kommission erstellt. Quelle: Parisi, C., Rodrigeuz-Cerezo, E., Current and future market applications of new genomic techniques, Luxemburg, 2021 | Gestaltung: Emde Grafik
Zu den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der Genschere bei Pflanzen zählen auch Veränderungen, die der Gesundheit nutzen oder andere Vorteile für Konsumentinnen und Konsumenten haben. Mögliche Ziele der Genomeditierung bei Pflanzen sind, den Gehalt an bestimmten Vitaminen zu erhöhen, allergieauslösende Substanzen zu eliminieren beziehungsweise zu reduzieren oder den Geschmack zu verbessern.
Der JRC-Bericht von 2021 zeigt, dass derartige Entwicklungen bereits vorangetrieben werden. Von den insgesamt 426 weltweit erfassten Anwendungen der Genomeditierung bei Pflanzen haben 121 zum Ziel, die Inhaltsstoffe von Nutzpflanzen zu verändern – was oft damit verbunden ist, gesündere Produkte zu erzeugen. Bei 21 weiteren Anwendungen geht es darum, Farbe oder Geschmack zu verändern.
Das Spektrum der möglichen neuen Eigenschaften von Lebensmitteln ist groß: Bei Erdnusspflanzen lassen sich diejenigen Gene verändern, die für die Herstellung allergieauslösender Proteine zuständig sind. Auch an allergenfreien Möhren, Äpfeln und Tomaten wird geforscht, ebenso an Kaffeesträuchern, die koffeinfreie Bohnen hervorbringen. Ein Beispiel für eine optische Veränderung sind Champignons, die sich an den Schnittflächen erst relativ spät braun färben.
Abbildung 2: Zahl der Projekte in Forschung- und Entwicklung (F&E) weltweit, bei denen Pflanzen per Genomeditierung modifizierte oder neue Merkmale erhalten sollen, aufgeschlüsselt nach Merkmalskategorien. Die Übersicht über die insgesamt 426 Projekte wurde für einen Bericht des Joint Research Centre der Europäischen Kommission erstellt. Quelle: Parisi, C., Rodrigeuz-Cerezo, E., Current and future market applications of new genomic techniques, Luxemburg, 2021 | Gestaltung: Emde Grafik
Die Genomeditierungsverfahren sind effizient und kostensparend. Das fördert zum einen den Wettbewerb, zum anderen ein breites Spektrum von Ideen und methodischen Ansätzen. Der JRC-Report der EU-Kommission verzeichnet in seiner Datenbank mehr als 66 Pflanzenarten, die mit neuen genomischen Verfahren neue Eigenschaften verliehen bekommen sollen – von Aubergine bis Zuckerrohr. Darunter sind auch sogenannte Orphan Crops, also vernachlässigte Nutzpflanzen, wie Maniok, Hirse und Kichererbsen, die in der Pflanzenzüchtung bisher eher eine untergeordnete Rolle spielen.
In der Stellungnahme „Wege zu einer wissenschaftlich begründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU“ (2019) betonen die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, dass die Genomeditierung auch von kleinen und mittleren Unternehmen sowie von öffentlichen Forschungseinrichtungen genutzt werden kann. Entwicklungsländern bieten sich aufgrund der vergleichsweise einfach anzuwendenden Technologie neue Chancen.
Weil das Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Organismen in der EU teuer ist und lange dauert, sind bislang vor allem große multinationale Konzerne involviert. Eine wissenschaftsbasierte Regelungspraxis könne kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zum Markt für Pflanzenneuzüchtungen sowie Saatgut erleichtern, heißt es in der Stellungnahme. Das würde dem Prozess der Monopolisierung auf dem international bereits stark konzentrierten Markt entgegenwirken. Mit diesem Prozess geht einher, dass sich Entwicklungen bisher auf wenige Pflanzenarten fokussiert haben – vor allem auf profitbringende Pflanzen (Cash Crops) wie Mais, Baumwolle und Soja. Durch die Genschere könnte künftig auch die züchterische Bearbeitung bisher vernachlässigter, unzureichend genutzter Kulturpflanzen sowie nur regional bedeutsamer Obst- und Gemüsepflanzen wirtschaftlich attraktiver werden. Und die Breite der Merkmale, die verbessert oder ergänzt werden sollen, würde sich vergrößern.
Die Bestandsaufnahme des JRC über die Ansätze mit genomeditierten Pflanzen bestätigt diese Einschätzung. Sie zeigt, dass die Genschere bereits in Entwicklungsländern Anwendung findet. Von den 426 verzeichneten Projekten stammen 50 aus Entwicklungsländern oder von Konsortien, die Entwicklungsländer beteiligen. Dabei geht es überwiegend darum, Pflanzen gegen biotischen Stress zu schützen, also gegen Krankheiten durch Viren, Pilze und andere Erreger. Darüber hinaus ist die Verbesserung der ernährungsphysiologischen Eigenschaften von Nahrungsmitteln, beispielsweise des Vitamingehalts, ein häufiges Ziel.
Eine wichtige Rolle bei diesen Bemühungen spielt das internationale Agrarforschungsnetzwerk CGIAR, in dem Entwicklungs- wie Industrieländer, Regierungsinstitutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen sowie Vertreterinnen und Vertreter der Privatwirtschaft zusammenarbeiten. Ziel der CGIAR ist es, die Ernährung nachhaltig zu sichern und die Armut in Entwicklungsländern durch wissenschaftliche Forschung und Aktivitäten in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei und Umwelt zu verringern.
Die Interessengemeinschaft unterstützt zu diesem Zweck 15 internationale Forschungseinrichtungen, die unabhängig und nicht profitorientiert arbeiten – etwa das International Rice Research Institute in Los Banos/Philippinen oder das International Maize and Wheat Improvement Center in Mexiko-City/Mexiko. Acht dieser Zentren nutzen inzwischen auch neue Züchtungsverfahren, insbesondere CRISPR/Cas.
Veröffentlicht: Oktober 2021